Burschenschaftliche Geschichte

Seit der Entstehung der Universitäten im Mittelalter schlossen sich Studenten zu Vereinigungen zu Schutz, Geselligkeit und gegenseitiger Förderung zusammen. Oft lebten sie in „Bursen“, einer gemeinsamen Unterkunft mit gemeinsamer Kasse, die den Bewohnern im Laufe der Zeit den Namen gab: Studenten waren „Burschen“.

Studenten vereinen Wissen und Leistung. An sie sind sozialer Aufstieg und Einfluss geknüpft. Wer studiert, bereitet sich nach wie vor auf Führungspositionen im politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Leben vor. Daraus resultiert aber auch eine besondere Verantwortung für das eigene Gemeinwesen. Vor über 200 Jahren wurden dies im Zeitalter der Aufklärung erstmals formuliert. Vermehrt um die Erfahrungen der das nationale Bewusstsein prägenden napoleonischen Kriege begann vor 190 Jahren in Jena die Geschichte der Burschenschaft als revolutionärer Bewegung für die Freiheit und Einheit der deutschen Nation, gegen feudale Kleinstaaterei, für Meinungsfreiheit und Mitbestimmung in der Politik

Die am 12. Juni 1815 in Jena gegründete „Urburschenschaft“, Keimzelle aller Burschenschaften, war der Zusammenschluss Jenaer Studenten, die an den Befreiungskriegen gegen Napoleon und die französische Unterjochung des deutschen Vaterlandes teilgenommen hatten und sich nun den Beschlüssen des Wiener Kongresses widersetzten, welche eine Zersplitterung Deutschlands in etliche Kleinstaaten festschrieben. Diese Nationalbewegung deutscher Studenten war seit ihren Anfängen politische Jugendbewegung und die erste gesamtdeutsche Organisation überhaupt, die 1817 mit dem Wartburgfest die erste überregionale Feier in Deutschland ausrichtete. Ihre Farben, das burschenschaftliche Schwarz-Rot-Gold, sind heute die deutschen Nationalfarben.

Durch die Forderung nach Teilhabe an den politischen Entscheidungen und das Ziel der Einheit Deutschlands setzte man sich bewusst in Gegensatz zur Obrigkeit und zur Politik der Regierungen. Das bekamen die Burschenschaften früh zu spüren, denn nachdem man die Ziele 1817 auf der Wartburg und 1832 auf dem Hambacher Fest sowie mit dem missglückten Frankfurter Wachensturm 1833 in die Öffentlichkeit getragen hatte, kam es zu massiven Verfolgungen bis hin zu Verboten, Verhaftungen und Verurteilungen zu langjährigen Haftstrafen. Nichtsdestotrotz hielten die Burschenschaften an den demokratischen und nationalen Grundsätzen fest und überstanden teilweise öffentlich, teilweise im Untergrund jede Verfolgung, um dann im Jahre 1848 maßgeblich an der Revolution beteiligt zu sein. Ein Großteil der Abgeordneten der verfassungsgebenden Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche waren Burschenschafter.

Die Burschenschaften hatten sich von Anfang an zum Ziel gesetzt, ihre Mitglieder zu verantwortungsbewussten Bürgern auszubilden. Daher stand die politische Bildungsarbeit immer im Vordergrund des Gemeinschaftslebens. Man unternahm Exkursionen, veranstaltete Vortragsabende und Seminare, um „freie, sittliche und opferbereite Persönlichkeiten“ heranzubilden, in deren Handeln „das Volk und die Verantwortung des Einzelnen gegenüber dem Ganzen“ die entscheidende Rolle spielen sollten. Niedergelegt in den „Grundsätzen und Beschlüssen des 18. Oktobers“ 1818, nahm diese Denkschrift das nationale Programm der nächsten fünfzig Jahre vorweg; sie forderte staatliche, wirtschaftliche und kirchliche Einheit, einheitliches deutsches Recht, verfassungsmäßige Erbmonarchie, Rede- und Pressefreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Selbstverwaltung, öffentliches Gerichtsverfahren und Geschworenengerichte, allgemeine Wehrpflicht, selbstbewusste Machtpolitik. Die Formulierungen der „Grundsätze und Beschlüsse des 18. Oktober“ sind teilweise wortgetreu in die Paulskirchenverfassung von 1849 und über diese in die Weimarer Reichsverfassung von 1919 und das Grundgesetz von 1949 eingeflossen.

Im Kaiserreich von 1871 glaubten viele Burschenschafter ihre nationalen Sehnsüchte erfüllt. Entsprechend trat der korporative, seit 1815 zwar vorhandene, aber niemals beherrschend gewordene Anteil des burschenschaftlichen Lebens stärker hervor, vor allem im Rahmen der Mensur. Im Kampf zweier Studenten mit scharfen Waffen stößt der Burschenschafter jedoch nicht auf einen Feind, man ficht mit-, nicht gegeneinander. Dies liegt im Zweck der Mensur begründet: In ihr muss der Student beweisen, ob er Stehvermögen und Selbstbeherrschung hat, es soll Selbstbewusstsein, ein starker Wille, Haltung, Disziplin, Korrektheit, Sicherheit im Auftreten, Mut und Festigkeit gezeigt werden. Schließlich hat die Mensur auch einen Erlebnischarakter. Beurteilt von den im Mensurenconvent vereinten Bundesbrüdern verschafft sie dem Fechter und seiner Mensurmannschaft ein gemeinsames Erleben, das den inneren Zusammenhalt einer Burschenschaft verstärkt.

Nach verschiedenen Vorverbänden seit 1850 schlossen sich die Burschenschaften der einzelnen Universitäten 1881 zu einem großen Verband zusammen: der Deutschen Burschenschaft. Ihr traten 1919 auch die Burschenschaften an Technischen Hochschulen und die österreichischen Burschenschaften bei, so dass der Verband in den 1920er Jahren weit über 20.000 alte und junge Burschenschafter in über 150 Burschenschaften umfasste.

Die Annäherung von nationaler Bewegung und traditionalem Staat bewirkte nach 1871 eine Abkehr vom burschenschaftlichen Aktivismus. Die weitere Entwicklung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges lässt die Bildungsarbeit wieder mehr in den Vordergrund treten.

Am Ersten Weltkrieg nahmen Tausende von jungen Burschenschaftern teil. Daheim gebliebene Verbandsbrüder versuchten auf andere Art und Weise ihren Anteil zu leisten, sei es durch die Einrichtung von Lazaretten in den Burschenhäusern, in der Verwundetenpflege, der Flüchtlingsfürsorge oder der Jugendpflege.

Bei den nach Ende des Krieges aufflackernden Grenzlandkämpfen in Kärnten, der Steiermark und Schlesien sowie bei der Bildung von Freikorps waren wiederum Burschenschafter maßgeblich beteiligt. Nach innen war man in der Hochschulpolitik tätig und trug wesentlich zur Abschwächung der Gegensätze in der Studentenschaft bei, betätigte sich aber u. a. auch sportlich. Unter den Siegern der Deutschen Hochschulmeisterschaften waren seit 1924 in allen Sparten regelmäßig Burschenschafter zu finden, es gelang u. a. ein Weltrekord im Langstreckensegelflug.

Die Übernahme der Regierungsgewalt durch den Nationalsozialismus bedeutete für die Burschenschaft einen schweren Einschnitt. Schon im Jahre 1932 war es zwischen der Deutschen Burschenschaft und dem 1926 gegründeten NS-Studentenbund, der Hochschulgruppe der NSDAP, zum offenen Streit gekommen. Man versäumte es in der Burschenschaft jedoch, rechtzeitig eine geschlossene Abwehrfront unter den Verbindungen gegen die Gleichschaltungs- und Totalitätsbestrebungen der Partei zu bilden und sah sich jetzt, auch auf Grund innerer Uneinigkeit, außerstande, dem nationalsozialistischen Apparat ein Gegengewicht entgegenzusetzen, so dass es 1935 zur Auflösung der Deutschen Burschenschaft im Reich und 1938/39 der Burschenschaften in Österreich und im Sudetenland kam. Bestehen blieben nur die Altherrenverbände.

Nach dem Zusammenbruch 1945 standen die Burschenschafter vor einem Neubeginn. Viele waren gefallen oder saßen in Gefangenenlagern. Nur allmählich konnten die Bundesbrüder untereinander Kontakt aufnehmen. 1949 kam es zur ersten überregionalen Fühlungnahme von wiedererrichteten burschenschaftlichen Verbindungen, am 12. Juni 1950 konnte in Anlehnung an das Gründungsdatum von 1815 in aller Form die Wiedergründung der Deutschen Burschenschaft mit zunächst 67 Burschenschaften auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgen. Nach einer Satzungsreform im Jahr 1971 ist der Verband auch wieder für Burschenschaften aus Österreich geöffnet worden.

Seit 1815 vertritt die Burschenschaft und damit auch der einzelne Burschenschafter die Ideale der Urburschenschaft, die sich verkürzt im Wahlspruch der Deutschen Burschenschaft wiederfinden: Ehre, Freiheit, Vaterland!

Diese Ideale sind Grundwerte, die keinem ständigen Wandel unterliegen. Sich zu ihnen zu bekennen, bedeutet oft genug, allen Anfeindungen zum Trotz nicht den bequemen Weg der Anpassung an den jeweiligen Zeitgeist zu gehen: Während fast alle politischen und gesellschaftlichen Gruppen Deutschlands Einheit in der Nachkriegszeit mehr oder weniger zu den Akten legten, hat die Deutsche Burschenschaft stets daran festgehalten, wurde dafür beschimpft und verunglimpft. Heute rechnet sie es sich zur Ehre an, stets unbeirrt für ein einiges und freiheitliches Deutschland in einem freien Europa einzutreten.

Der innere Aufbau der burschenschaftlichen Verbindungen, in denen sich die Prinzipien des Miteinanders und voneinander Lernens im Geiste gegenseitiger Achtung spiegeln, ist gelebte Demokratie seit den Anfängen 1815. Auf ihren regelmäßigen Zusammenkünften, den Konventen, regeln die Mitglieder alle Angelegenheiten ihrer Gemeinschaft, wobei jede Stimme das gleiche Gewicht hat. Diese demokratische Struktur setzt sich in allen Gremien der Burschenschaft bis hin zum obersten Organ des Verbands, dem jährlich einmal tagenden Burschentag, fort. Die Demokratie ist allgegenwärtiges Prinzip des Umgangs miteinander im Freundeskreis, bei Vorträgen, Diskussionen und vielen anderen Gelegenheiten. Dies ist ein Stück Schule für das Leben, hier wird der junge Burschenschafter vorbereitet auf die verantwortliche Mitarbeit am Gemeinwesen, in Staat und Gesellschaft, Politik und Wirtschaft.

geschrieben von Prof. Dr. iur. Dr. phil. habil. Harald Lönnecker